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Verdienst in der IT-Branche

Das Jobportal Honeypot hat herausgefunden: Frauen in IT- und Kommunikationsberufen in Deutschland verdienen im Schnitt 25 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Ein komplexes Thema – daher lohnt sich auch hier der systemische Blick. Annika Leister von der Berliner Zeitung hat Dr. Astrid Dobmeier, Gründerin von DeSelfie, hierfür interviewt. Vielen Dank dafür! Der Artikel ist immer noch aktuell, daher teilen wir ihn an dieser Stelle:

In der Berufswelt gilt das Kürzel IT als fast schon als magisch. Das ist die Branche der Zukunft mit Monstergehältern und Aufstiegschancen für jedermann. So jedenfalls inszenieren sich Start-ups und Tech-Unternehmen nur zu gerne. Ob Stubenhocker oder Kids mit Migrationshintergrund – sie alle sollen im IT-Geschäft reich werden können. Das Silicon Valley als Ideal.

Nur gilt das nicht für alle gleichermaßen. Frauen in IT- und Kommunikationsberufen in Deutschland verdienen laut einer aktuellen Berechnung des Jobportals Honeypot im Schnitt 25 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Während Männer der Studie zufolge ein Jahresdurchschnittsgehalt von 47.835 Euro kassieren, bekommen Frauen im Schnitt nur 35.876 Euro. Das sind noch einmal vier Prozentpunkte mehr in Richtung Ungleichheit als über alle Branchen hinweg (21 Prozent). Deutschland bildet mit diesem Wert das Schlusslicht in Westeuropa.

Auf das Pokern vorbereiten

Hört man sich in der IT-Branche unter Frauen um, gibt es dafür vor allem zwei Gründe. Der erste, sehr einfache: Frauen verhandeln schlechter. Marie-Louise Sadakane war CEO bei der schwedischen Digitalagentur B-Reel und Marketingleiterin bei Spotify. In ihrer Karriere hat die 37-Jährige ungezählte Bewerbungsgespräche mit beiden Geschlechtern geführt. Obwohl sie sich vor Verallgemeinerungen verwahrt, sind ihrer Erfahrung nach einige Unterschiede auffällig.

Viele Männer seien sehr gut im Netzwerken und wüssten dadurch schon sehr genau, welches Gehalt man mindestens verlangen solle. Ein selbstbewussteres Auftreten sei die Folge und die Nennung von höheren Preisklassen – unabhängig von der Qualifikation des Bewerbers. Frauen hingegen seien auf die Standard-Frage nach dem Gehalt oft gänzlich unvorbereitet. Überrumpelt griffen viele dann zu tief, sagt Sadakane. „Man muss sich auf das Pokern vorbereiten, mitspielen und genau wissen, was man sich selbst wert ist.“

Ein weiterer Nachteil im Jobgespräch: „Frauen sind oft ehrlicher und selbstkritischer.“ Sie gestünden ein, wenn sie von zehn geforderten Kriterien nur drei erfüllten. Als zukünftiger Chef könne man diese Ehrlichkeit zwar schätzen, schließlich werde man so nach Vertragsunterzeichnung nicht von Defiziten des Bewerbers überrumpelt. Für die Kandidatin aber hat sie einen entscheidenden Haken: „Oft erhalten Frauen dadurch trotz gleicher Qualifikation keine gleichberechtigte Startposition.“

In einer repräsentativen Befragung von Unternehmen aus dem Jahr 2016, durchgeführt im Namen des Branchenverbands Bitkom, gab jedes zweite an, dass weibliche IT-Freiberufler einen niedrigeren Stundensatz erhalten als Männer. Als Hauptgründe für die ungleiche Bezahlung nannten die Führungskräfte, dass Frauen in Verhandlungen eher nachgeben (37 Prozent) oder von vornherein weniger fordern (33 Prozent).

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Fehlende Solidarität unter Frauen

Sind Frauen also selbst schuld, wenn sie weniger Geld bekommen? Ganz so einfach ist es nicht. „Es fehlen die Rollenvorbilder“, sagen ITlerinnen und Vertreterinnen von Fachverbänden gleichermaßen. Und tatsächlich waren im Jahr 2017 nur 28 Prozent der Angestellten in der hiesigen IT-Branche Frauen. Im mittleren Management lag ihr Anteil sogar nur bei acht, im Top-Management bei sieben Prozent.

Verdienst in der IT-Branche
Dr. Astrid Dobmeier von DeSelfie in der Berliner Zeitung

Das bedeutet auch, dass viele Kämpfe von Frauen zum ersten Mal ausgefochten werden müssen, etwa wenn es um flexible Arbeitszeiten oder sexistische Kommentare in Meetings geht. „Unternehmensstrukturen und -kulturen verändern sich nur sehr, sehr langsam“, sagt Astrid Dobmeier, Systemische Transformationsbegleiterin, die auch Angestellte aus IT-Unternehmen betreut. Frauen, die sich klar positionierten, eckten rasch an – und das nicht nur bei männlichen Chefs. Oft fühlten sich Frauen ausgerechnet von ihrer Chefin „kleingemacht“. Es fehle an Solidarität unter Frauen, bedauert Dobmeier. Männer-Netzwerke seien zielorientierter und stabiler.

Gar nicht so selten seien Frauen die Machtkämpfe irgendwann leid, entschieden sich für ein entspannteres Leben und wechselten in Teilzeit, sagt die Beraterin. Ein Teufelskreis, den nach Meinung von Dobmeier auch eine Frauenquote nicht aufbrechen können. „Unternehmen müssen den Wandel aktiv wollen.“