Kooperation in der agilen Arbeitswelt

Eine persönliche Sicht auf die eigene berufliche Entwicklung ab 1998. Und darauf, was gute Zusammenarbeit ausmacht: Collage von DeSelfie-Gründerin Dr. Astrid Dobmeier

Kooperation in der agilen Arbeitswelt

Acht Hypothesen zu gelingender Zusammenarbeit

Acht Hypothesen von Dr. Astrid Dobmeier darüber, was gute Kooperation in der agilen Arbeitswelt ausmacht.

Es ist das erste Mal, dass ich nach so langer Zeit in meiner Magisterarbeit blättere. Abgabejahr: 1998. Thema: TV-Culture. Es ging im weitesten Sinne um eine kritische Diskursanalyse zum damals populären Genre „Daily-Talkshow“. Sie erinnern sich? Hans Meiser. Ilona Christen. Jürgen Fliege. Arabella. Auf Seite 13 entdecke ich ein Kreismodell. Es soll die Zusammenhänge von Produzierenden, Inhalten und Rezipienten darstellen. Darin spiegeln sich meine Erfahrungen wider, die ich als junge Hospitantin bei einem erfolgreichen Fernsehsender gesammelt hatte. Lange Zeit vor YouTube, Scripted Reality und Fake News.

Und in diesem Augenblick wird mir klar, dass auch in meiner heutigen Arbeit als Systemische Beraterin Kreismodelle eine wichtige Rolle spielen. Die zirkuläre Herangehensweise entspricht meinem Denken. Und so wie andere Faktoren auch, passt das ganz gut zum Thema “Kooperation in der agilen Arbeitswelt”.

Acht Hypothesen darüber, was gelingende Kooperation aus meiner Sicht fördert:

Hypothese 1: Sinn und Freude

Eine Zusammenarbeit und Kooperation ist für mich dann gelingend, wenn sie Sinn und Freude gleichermaßen macht. Und das tut es dann, wenn wir als Beratende mit den KundInnen zusammen beharrlich ein gemeinsames Verständnis für die Herausforderungen schaffen und den roten Faden spinnen, um zum Ziel zu kommen. Wenn wir persönliche und unternehmerische Weiterentwicklung begleiten dürfen und an die Lösungsfähigkeit der Kunden glauben.

Nicht wir als BeraterInnen stellen uns ins Zentrum der Arbeit, sondern der Kunde erlebt durch unsere Begleitung die Erweiterung seiner Handlungsoptionen. Ich lerne als Beraterin mit jedem Auftrag und mit jedem Kundenkontakt dazu. Das ist wohl mein wichtigster persönlicher Antreiber und ein wunderbares Geschenk.

Hypothese 2: Wertschätzung und Feedback

Wenn ich zurückblicke, kann ich die CEOs und Chefs an einer Hand abzählen, die mir als Mitarbeiterin wertschätzendes und konstruktives Feedback entgegengebracht haben. Zu ihrem Schutz: Wahrscheinlich wussten die anderen nicht genau, wie das geht und auch die positiven Auswirkungen dürften ihnen unbekannt gewesen sein.

Sonst wäre ich vielleicht noch heute deren Mitarbeiterin. Welch persönliche Wachstumschancen aus konstruktivem Feedback resultieren können, das erlebe ich bei Aufträgen im Change Management. Sowohl in agilen Kooperationsteams als auch mit unseren Kunden. You get what you give.

Hypothese 3: Professionelle Wahrnehmung

Ein Kooperationssystem ist ein wunderbares Beispiel für agiles Zusammenarbeiten. Manchmal für uns Berater unplanbar, ungewiss, unglaublich schnelllebig. Das bringt viel Unsicherheit mit sich. Wir können also gut nachvollziehen, was die Herausforderungen agiler Projekte unserer Kunden sind. Meine Erfahrung: Was es an dieser Stelle braucht, ist gegenseitiges Vertrauen. Leicht gesagt.

Wie schwer es ist, Vertrauen zu schenken, habe ich einst selbst als Führungskraft erst einmal lernen müssen. Meine Conclusio: Einen guten Kontakt herzustellen ist das A und O, denn das gibt uns Menschen Sicherheit. Geschulte Wahrnehmung heißt für mich: professionelles Hinhören, Hinsehen, Fragen und Spüren – und Mut innezuhalten. Mut, den eigenen Blick für das große Ganze zu weiten, die Perpektiven zu wechseln oder den Pfad zu verlassen. So wird auch Veränderung möglich.

Hypothese 4: Geteiltes Wissen

Ich zählte zu den Schülerinnen, die in Proben nicht so gerne von sich abschreiben ließen. Darüber machen sich meine Kinder heute furchtbar lustig und ich schäme mich ein bisschen dafür. Leistungsdenken eines Einzelkindes eben. Heute, im Zeitalter von Digitalisierung und auf 25 Jahre Berufserfahrung zurückblickend, bin ich großzügig geworden im Teilen von Wissen.

Ob es nun meine Studierenden sind, meine KollegInnen, Coachees, Unternehmen oder Menschen, die sich für meine Arbeit interessieren: Das Teilen von Wissen erlebe ich heute als großen Schatz, denn in den meisten aller Fälle profitiere ich ebenfalls davon. Und wenn nicht, dann ändert das ja nichts an meinen eigenen Qualitäten. Aus dem Teilen von Wissen kann Kooperation entstehen. Aus Kooperation kann wiederum Vertrauen wachsen. Und wer sich als Mensch in seinem Wesen angenommen fühlt und Vertrauen spürt, kooperiert sehr energievoll.

Hypothese 5: Vorbilder

Ich hatte in meiner beruflichen Laufbahn das Glück, von wunderbaren Mentoren gefördert zu werden. Sowohl in meiner Zeit als Studierende als auch als Redakteurin.

Von Lehrenden, die ich während meiner Weiterbildungen traf, von Kollegen und Kolleginnen im Beraterkreis.

Von Kreativen.

Dafür bin ich dankbar und versuche das heute jungen Menschen zurückzugeben.

Hypothese 6: Selbstreflexion

Einer der gemeinsamen Nenner, die ich in Kooperationen als wertvoll erlebe, ist die Bereitschaft, sich selbst und sein Tun zu hinterfragen. In Workshops, die wir häufig in Co-Arbeit gestalten, gehen wir BeraterInnen daher auch häufig auf die Meta-Ebene und ändern etwas, wenn wir merken: Das ist jetzt nicht zielführend. Gehen mit dem Prozess. Und fordern unsere Kunden manchmal sehr heraus. Ja, lösen vielleicht verwundertes Kopfschütteln oder Abwehr aus.

Was ich weiß ist, dass sich all die Theorien der Selbstorganisation von Systemen und der Kybernetik 2. Ordnung in unserer Arbeit widerspiegeln – und unsere Kunden von unserer Orientierung profitieren. Dass das Kundensystem in Zeiten der Veränderung manchmal ungeduldig, verunsichert oder skeptisch ist, das gehört zu unserem Tagegeschäft und ist ein gutes Zeichen. Ich begreife die Quintessenz unserer Arbeit als Berater so: Wir sollten nicht nur professionell mit der Haltung unserer Kunden umgehen, sondern auch mit unserer eigenen. Und das geht gut mit kontinuierlicher Selbstreflexion, kollegialer Beratung oder Supervision.

Hypothese 7: Zirkuläres Denken

Der Lern- und Energiekreis

Und hier wären wir also angelangt. Ich sehe auf mein kleines Kreismodell von 1998 und denke an das, was gut zwei Jahrzehnte später in Zusammenarbeit mit Strasser & Strasser ein wichtiges Instrument geworden ist: der „Learning Circle“.  Dieser Kreislauf macht die Zusammenarbeit fruchtbar, denn er zeigt, wie wichtig es in der Beratungsarbeit mit Organisationen, Teams und Einzelnen ist, ein gemeinsames Verständnis zu erzeugen.

Von Ausgangspunkt, Zielen und Wegen. Und dass es dann auch darauf ankommt, den Weg kraftvoll zu gehen, lösungsfokussiert zu denken und iterative Lernschleifen zu ziehen – und dass jeder bereit sein sollte, systematisch zu reflektieren. Denn wir können alle nur davon profitieren.

Hypothese 8: Lust auf lebenslanges Lernen

Meine persönlichen Lernfelder? Als Beraterin neugierig und offen bleiben. Kritik konstruktiv aufnehmen und sich selbst weiterentwickeln. Darauf vertrauen was man kann, denkt und fühlt. Sich im Nicht-Wissen üben. Den Mut haben, sich selbst zu hinterfragen. Die eigene Wahrnehmung schulen. Interdisziplinär denken. Den Zusammenhängen von Körper und Psyche vertrauen. Bei aller Flexibilität immer wieder Erdung und Ruhe finden. Auszeiten nehmen. Spaß haben. Fazit in einem Satz: Ein/e gute/r BeraterIn ist nur so gut wie ihr/sein State of Mind and Body. Und, noch ein ganz wichtiges Lernfeld: Hypothesen mutig zu verwerfen.

Das zirkuläre Modell zum Thema TV-Culture und Populärkultur.

Wenn der Kreis sich schließt

Und hier wären wir also am Anfang angelangt. Auf Seite 3 meiner Magisterarbeit steht in großen Lettern ein Zitat. Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wie ich auf die Urheberin kam. Aber es ist aktueller denn je, daher lohnt es sich vielleicht auch für Sie nachzuforschen, wer Gayatri Chakravorty Spivak ist. Damals habe ich das Zitat in einem Buch gefunden, vielleicht war darin auch ein Bild von ihr abgedruckt. Heute kann jeder von uns ganz leicht Google befragen, sich ein Video auf YouTube dazu ansehen und herausfinden, was sie jüngst in Wien gemacht hat. Das Zitat? Bitteschön: „Dekonstruktion ist nicht die Offenlegung von Irrtümern, sondern eine Wachsamkeit angesichts der Tatsache, dass wir ständig genötigt werden, Wahrheiten zu produzieren“. Großartig.

Danke an alle fürs Teilen und Verlinken auf allen Kanälen.

Zum Weiterlesen:

Mehr Kommunikationspsychologie von Paul Watzlawick

Anregungen zu positiven Wachstumschancen und Selbstreflexion bei Virgina Satir

Mehr zum Thema Transformation von Fredmund Malik

Mehr zu Kooperation und Führungspersönlichkeit bei Ruth Seliger

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Eine beeindruckende Rede von Gayatri Chakravorty Spivak, 2017 in Wien.

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