Wie beseelte Formen der Kooperation gelingen können

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Daniel Schwarzer hat in seiner Bachelorarbeit den Wandel von Wertvorstellungen untersucht und beschreibt deren Auswirkungen auf Organisationen. In diesem Artikel hat er die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst. Insbesondere fokussiert er dabei die Wichtigkeit von Kulturentwicklung in Unternehmen. Werte und Kulturen stellen sich auch aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet als systemische Schlüssel heraus, um mit den Herausforderungen der Umwelt adäquat umzugehen. Im Zentrum steht die “Teal Organisation”.

Gemeinsam erschaffen wir die Zukunft – jetzt und in jedem Moment. Ob als Individuum im Kleinen – oder als Unternehmen im großen Stil. Wir tragen in unserem Handeln dazu bei.
In unserer heutigen komplexen, vielschichtigen und schnelllebigen Welt verlieren wir jedoch schnell einmal die Orientierung. Zukünftig kann somit eine Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen der Kompass für einen inneren Wandel sein, um in der neuen Welt zu navigieren und zurechtzukommen.

Wir müssen uns neu ausrichten

Derzeit lebt der industrielle Mensch in einer Welt, geprägt von Mobilität, Digitalisierung und Globalisierung. Das Verlangen nach stetigem Wirtschaftswachstum führt jedoch bereits heute zur Ausbeutung der Ressourcen unseres Planeten mitsamt seinen Bewohnern.

Dies erfordert eine Neuausrichtung: Die Abwendung von der Maxime des zwanghaften Wirtschaftswachstums hin zu mehr Menschlichkeit, Solidarität und Kooperation. Die Ökonomie des rational geleiteten „Nutzenmaximierers“ sowie die Analogie der Wirtschaft als Maschine, sind längst überholt. Das ständige Konkurrenzdenken, das Streben nach mehr Erfolg, nach maximaler Leistung und bestmöglicher Effektivität, zwingt Unternehmen zu einem fortwährenden Wettbewerb. Die Auswirkungen sind Druck, Trennung und Spannungen, was sich letztendlich in einem Gegeneinander, anstatt einem Miteinander äußert. Dieses problemhafte Denken steht dabei in einem direkten Zusammenhang mit dem weltweiten Anstieg an psychischen Erkrankungen.

Anpassung

“Es ist nicht die stärkste Spezies, die überlebt, auch nicht die intelligenteste, sondern diejenige, die am besten auf Veränderungen reagiert“ – (Charles Darwin)

Die laufende Zunahme an Komplexität, Dynamik und Schnelligkeit sowie die damit einhergehende Veränderung der Umwelt, führt somit dazu, dass nicht nur Organisationen sich an das rasant ändernde Umfeld anpassen müssen, um wirtschaftlich zu bleiben, sondern auch einzelne Individuen bzw. Mitarbeiter ihre innere Einstellung ändern sollten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Change-Management ist somit ein bedeutender Faktor für die Zukunftsfähigkeit. Eine Veränderung im Außen muss zwangsläufig auch mit einem inneren Wandel einhergehen.

Schnelllebige und sich ändernde Marktbedingungen zwingen Unternehmen zu raschen Reaktionen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die bisher gängigen Unternehmensziele wie das Streben nach Klarheit, Struktur und Planbarkeit sind in der heutigen komplexen (VUKA)-Welt jedoch längst überholt. Die Zukunftsfähigkeit verlangt nach neuen Strukturen, Denkweisen und Arbeitsmethoden, welche sich agil und flexibel auf schnelle Veränderung einstellen können.

Teal Organisation und Spiral Dynamics

In der Literatur finden sich immer häufiger solch flexible Organisationsstrukturen (unter anderem) unter den Begriffen “evolutionär integrale Organisation” bzw. auch „Teal Organisation“. „Teal“ ist ein englisches Wort und beschreibt eine Farbe… Aber was hat eine Farbe mit Organisationen oder gar Wirtschaft zu tun?

Die Ursprünge von „Teal“ finden sich in der Entwicklungspsychologie wieder. Hier gibt es verschiedenste Modelle, um die Entwicklung von Menschen und Gesellschaften zu beschreiben z.B. die Modelle nach: Abraham Maslow, Jean Piaget, Lawrence Kolberg oder Beck und Cowan. Allen Modellen gemeinsam ist jedoch die Tatsache, dass Entwicklung in aufeinanderfolgenden Stufen passiert.

Spiral Dynamics (Hosang, 2020, o. S.) in Anlehnung an (Beck & Cowan, 2017) mit eigener Ergänzung.

Ein Modell, das sich im unternehmerischen Kontext als besonders nützlich erwiesen hat, ist das Modell der Spiral Dynamics von Don Edward Beck und Christopher Cowan. Es beschreibt die Entwicklung der menschlichen Wertesysteme seit 100.000 Jahren.

Die aufeinanderfolgenden Entwicklungsstufen werden dabei durch unterschiedliche Wertvorstellungen, den sogenannten “Werte-Meme”, welche durch unterschiedliche Farben dargestellt werden, repräsentiert. Es stellte sich zudem heraus, dass sich mit jeder neuen Entwicklungsstufe neue Formen der Zusammenarbeit bzw. der Organisation bildeten.

Organisationale Wertsysteme (Eigene Darstellung in Anlehnung an Laloux, 2015)

„Teal Organisation“ ist also das Erleben und Verhalten einer Organisation basierend auf einer bestimmten Entwicklungsstufe bzw. eines bestimmten Wertesystems. (In diesem Fall das „gelbe“ Mem.) Das Modell der Spiral Dynamics eignet sich dabei ideal, um die aktuelle Transformation der Arbeitswelt greifbar zu machen:

Von hierarchischen und formalen Strukturen hin zu einer flexibleren und vernetzten Organisation mit mehr Entscheidungsspielraum. Das Modell ermöglicht dabei eine werteorientierte Entwicklung von Organisationen, was ein weitaus nachhaltigerer Ansatz ist als durch die bloße Implementierung eines Methodenkoffers agiler Methoden wie beispielsweise SCRUM oder Design Thinking.

Wieso sind Werte wichtig?

Werte stellen die innere Dimension von Individuen bzw. Unternehmen dar und sind dadurch schwer greifbar. Nichtsdestotrotz sind Werte allgegenwärtig und wirken bewusst als auch unbewusst auf unser Leben. Jeder Mensch lernt im Laufe seines Lebens “gut” von “schlecht” sowie richtig von falsch zu unterscheiden. Er prägt sein Gehirn mit Mustern, Ideen und Erwartungen über die Welt sowie sich selbst. Diese Prägungen äußern sich wiederum in Form von Wertvorstellungen, welche unsere Gedanken sowie Verhaltensweisen meist unbewusst beeinflussen. Wertsysteme beeinflussen somit die Art und Weise, wie ein Mensch denkt, handelt oder welche Ziele er oder sie verfolgt. Werte sind dabei eng mit Bedürfnissen verknüpft. Sie haben direkten Einfluss auf die innere Dimension eines Menschen und spielen eine entscheidende Rolle bei der Entscheidungsfindung. Gleichwohl ist die Unternehmenskultur (das geteilte System von Werten und Normen) ein entscheidender Faktor, welcher den Unternehmenserfolg, die Wettbewerbsfähigkeit sowie die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens mitbestimmt.

Ganzheitliche Sichtweise

Auch für Organisationen ist somit eine intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Werten, sowie einem Unternehmenszweck, von enormer Wichtigkeit.

Je komplexer unsere Umwelt, umso fraglicher sind hierarchische und pyramidale Organisationsstrukturen. Schnelllebige und sich ändernde Marktbedingungen zwingen Unternehmen zu raschen Reaktionen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die stetigen Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die steigende Vernetzungsdichte erzwingen eine Anpassung der Unternehmensorganisation.

Unternehmensorganisation in Wechselwirkung mit dem Marktumfeld (Eigene Darstellung in Anlehnung an Wilber)

Nur im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise kann eine sinnstiftende Form der Zusammenarbeit geschaffen werden. Eingeführte Prozesse, Strukturen und Handlungsweisen müssen immer auch mit den Werten (Haltung & Psyche) sowie der Unternehmenskultur übereinstimmen. Eine einseitige Betrachtung führt früher oder später zu Problemen und Reibungsverlusten. Die Unternehmensorganisation sollte in ihrer Gesamtheit wiederum an die Anforderungen des Marktumfelds angepasst werden. Ziel jeder Organisationsentwicklung sollte es somit sein, alle vier Dimensionen einer Unternehmensorganisation (siehe Abb.) zusammen mit dem jeweiligen Kontext (Marktumfeld) in Passung zu bringen. Das Modell der Spiral Dynamics eignet sich dabei ideal, um die innere Dimension einer Unternehmensorganisation zu veranschaulichen.

Teal Organisation: Prinzipien

Für „Teal Organisationen“ bzw. integral evolutionäre Organisationen also Organisationen, welche aus dem gelben Mem agieren, kristallisierten sich drei leitende Prinzipien heraus: evolutionärer Sinn, Selbstführung und Ganzheit.

Evolutionärer Sinn und Selbstreflexion

Das bedeutet, dass jede „Teal-Organisation“ einem bestimmten Zweck dient und auf der Grundlage dieses Zwecks handelt. Die Mitarbeiter sind dazu eingeladen, auf diesen Zweck zu “hören” und ihn zu verfolgen. Jede Entscheidung basiert somit stets auf der Ausrichtung danach. Anstatt jedoch der Organisation Sinn und Zweck aufzuzwingen oder zu versuchen, die Zukunft vorherzusagen und zu kontrollieren, ist die Idee dahinter, einen Raum zu schaffen, in welchem sich jeder Mitarbeiter einbringen kann. Dafür ist wichtig zu wissen: Was will jede/r einzelne/r? Wie gut kennt er und sie sich selbst – und den Organisationszweck? Und: Wie können alle gemeinsam in ihren Stärken wirksam werden? Das Zusammenspiel gestattet das Wirken der kollektiven Intelligenz. Laloux verwendet hierbei die Metapher eines “lebenden Organismus” (siehe Abb. Organisationale Wertsysteme).

Letztendlich ist Veränderung immer und überall. Ein natürlicher und immer fortwährender Prozess. Entsprechend sind Teal-Organisationen komplexe, adaptive und lernende Systeme, welche sich stets an ihre Umwelt anpassen, um ihrem Zweck nachzukommen.

Selbstführung und Selbstreflexion

Keine festgelegte Hierarchie, kein Management. Die Teams agieren selbstorganisiert und übernehmen sowohl funktionale als auch leitende Aufgaben. Es gibt keine Notwendigkeit, Entscheidungen über eine Managementhierarchie zu treffen. Es wird darauf vertraut, dass Menschen selbst Entscheidungen treffen können und wissen, wo ihre Grenzen sind.

Wenn wir jedoch die externen Strukturen abbauen, müssen wir Interne aufbauen. Das heißt, wir brauchen Strukturen und Prozesse, um die besten Entscheidungen selbst treffen zu können, Konflikte zu lösen oder Feedback zu geben, damit wir gemeinsam sowie auch individuell wachsen können.

Aber warum arbeiten Menschen, wenn es keine Ziele von oben gibt?

Selbstorganisiertes Arbeiten ist nur möglich, wenn wir einander Vertrauen schenken und Verantwortung übernehmen, anstatt Angst zu haben. Selbstorganisation beruht auf sogenannter „psychologischer Eigenverantwortung“. Es ist die emotionale Beteiligung jedes einzelnen Mitarbeiters an seiner Arbeit sowie dem Zweck der Organisation. Ohne zentrale Steuerung oder Befehle von oben sind vielmehr die Werte und der Zweck der Organisation handlungsleitend.

Selbstorganisation bedeutet nicht, dass jeder “sein eigenes Ding macht”. Es bedeutet, dass sich jeder als ein wichtiges Puzzlestück im Organisations- und Entscheidungsnetzwerk sieht. Es ist ein Irrglaube, dass Führung in den “neuen Organisationen” verschwindet. Nach dem Prinzip der Selbstorganisation ist sie nur anders verteilt. Jeder übernimmt nun Führung.

Dies bedeutet auch “sich selbst zu führen”, sich also zu reflektieren, Verantwortung zu übernehmen, Prioritäten zu setzen und ganzheitlich im Sinne aller Beteiligten zu denken.

Teal Organisation, Ganzheit und Selbstreflexion

“Außergewöhnliche Dinge geschehen, wenn wir es wagen, all das, was wir sind – unser ganzes Selbst -in die Arbeit einzubringen” – (Frederic Laloux)

Hierbei geht es darum, einen Raum bzw. eine Atmosphäre zu schaffen, welche jedem ermöglicht, einfach er oder sie selbst zu sein. Dabei ist eine Kultur des Vertrauens Grundvoraussetzung, um die soziale Maske, welche heutzutage in vielen Organisationen üblich ist, fallen zu lassen. Verschiedenste Strukturen und Prozesse unterstützen dabei diese Haltung.

Es geht darum, die Identifikation mit unserem Ego aufzugeben und nicht zuzulassen, dass Ängste reflexartig unser Leben kontrollieren. Dabei schaffen wir einen Raum, um auf die Weisheit der anderen sowie die tieferen Teile von uns selbst zu hören.

Wenn wir solch eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, hat jeder Mensch (Mitarbeiter) die Möglichkeit, in sein volles Potential zu treten. Es gibt nichts, wovor wir uns fürchten müssen. Aus Fehlern wird gelernt und durch (Selbst-)Reflexion Verbesserung herbeigeführt.

Lasst es uns angehen und den Ameisenhaufen nach Werten ausrichten – oder: natürliche Organisation

Potenzial, Wirtschaft, Seele und … Ameisen?

Was haben denn diese Begriffe gemeinsam? Auf den ersten Blick erst einmal nicht viel…

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Doch schauen wir uns beispielsweise einmal die Organisation einer Ameisenkolonie genauer an. Eine Teal Organisation? Eine Ameise allein bewegt nicht viel. Sie wirkt hilflos. Ein ganzer Ameisenhaufen bzw. eine Ameisenkolonie auf der anderen Seite kann jedoch in seiner Gesamtheit als intelligent bezeichnet werden. Gemeinsam überwinden sie Hindernisse, bauen Brücken und errichten Ameisenhaufen. Diese Art der Intelligenz wird auch kollektive Intelligenz genannt.

Die Kolonie steht als ein eigener Organismus, welcher auf seine Umwelt mit Problemlösungskompetenzen reagiert (Verteilen von Arbeit, Revier verteidigen, Sammeln von Futter, …).  Hierbei reden wir von einem Superorganismus. Wikipedia schreibt dafür folgende Definition:

„Als Superorganismus wird eine lebendige Gemeinschaft von vielen Individuen derselben Organismenart bezeichnet, die Fähigkeiten entwickeln, die über die Fähigkeiten der Individuen hinausgehen.“

Verbindung zu Lalouxs Methapher eines lebenden Organismus

Auch ein Unternehmen können wir als eine Art von Superorganismus sehen. Einzelne Individuen kommen zusammen, um gemeinsam ein größeres Ziel zu verfolgen. Dabei stellt das Ergebnis stets mehr als die Summe der einzelnen Elemente dar. (1+1>2; =Emergenz)

Jedes einzelne Individuum trägt im Sinne einer ganzheitlichen Herangehensweise, sowie seiner eigenen Potenzialentfaltung, zum großen Ganzen bei. Das System organisiert sich dabei selbst. Es vertraut auf kollektive Intelligenz bzw. auch Schwarmintelligenz genannt.

Solch ein System hat für mich Seele. Das System entwickelt eine Art Eigenleben. Ein eigener (Super-)Organismus mit eigenem Daseinszweck (Purpose), welcher die Potenzialentfaltung ihrer Mitglieder als wichtige Aufgabe ansieht.

Diese Art der Organisation und Kollaboration stellt sich als extrem nützlich heraus, um auf Veränderung zu reagieren und mit komplexen Umwelten umzugehen. Je komplexer unsere Umwelt, umso weniger Sinn machen hierarchische und pyramidale Organisationsstrukturen.

Schauen wir uns auch beispielsweise die Wirkungsweise unseres Gehirns an. 100 Millionen Synapsen. Jedoch lassen sich keine einzelnen („Führungs“) Zellen finden, welche über die Funktionsweise des Gehirns bestimmen. Erst das Zusammenspiel verschiedener Synapsen lässt ein ganzheitliches Bild entstehen.

Um adäquat mit den heutigen schnelllebigen Veränderungen der Welt umzugehen, bieten Selbstorganisierte Organisationsformen die besseren Zukunftschancen. Dabei sind eine intensive Beschäftigung mit Werten, eine hohe Selbstreflexionskompetenz sowie einem Unternehmenszweck von enormer Wichtigkeit. Alles fängt bei uns selbst an.

Quellen für diesen Artikel:

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